Ein regnerischer Mittwochvormittag im Februar. Im großen Bewegungsraum der Musikakademie in der Eupener Unterstadt hat sich eine buntgemischte Gruppe zusammengefunden: vier Dozenten, allesamt gestandene Musiker und Musiklehrer, und ein Dutzend Teilnehmer, Lehrer und Lehrerinnen aller Altersklassen aus Primarschulen im Norden und Süden Ostbelgiens. „Primacanta“ ist heute wieder angesagt – ein faszinierendes und begeisterndes musikpädagogisches Projekt.

Der Begriff „Musikunterricht“ wird hier neu, anders, breiter und moderner definiert. Die Dozenten Barbara Mergelsberg, Guido Niessen, Wolfgang Delnui und Marc Lemmens vermitteln ihren Primacanta-Kursteilnehmern zunächst jede Menge musikpädagogische Tipps und Ideen für die Musikstunden in ihren Klassen. Aber vor allem spürt man hier den Spaß und die Freude an der Musik, die sie weitergeben wollen. Und diesen Spaß, den die teilnehmenden Lehrer und Lehrerinnen heute hier von den Dozenten erfahren, werden sie ihrerseits morgen in ihren jeweiligen Klassen an ihre Schüler, an die nächste Generation, weitergeben.

Da wo zu meiner Zeit der Lehrer mit der Trompete deutsche Volkslieder anstimmte und wir Kinder mitsingen durften/mussten, erfahren die Lehrer und Lehrerinnen heute, wie sie ihren Schülern Töne, Rhythmen und vor allem das Gefühl für Musik auf wahnsinnig spannende und interessante Weise vermitteln können. Wenn ich sehe, wie moderner und innovativer Musikunterricht ablaufen kann, wäre ich gerne nochmal ein Kind…

Während der Stunde, in der ich heute als stiller Beobachter den Primacanta-Dozenten und den Kursteilnehmern zuschauen darf, erlebe ich zunächst Guido Niessen, der erklärt, wie man Töne kindgerecht erlebbar vermittelt. „Solmisationssilben“ heißt das in der Theorie – in der Praxis sind es nichts anderes als die Töne „Do“, „Mi“ und „So(l)“, mit denen vielfältig und abwechslungsreich gespielt wird. „Mimi macht Dodo, und das ist soso“ heißt es im Lied, das ganz klassisch vor allem aus den Noten Do, Mi und So(l) besteht. Die Noten werden gesungen, aber auch auf bunten, unterschiedlich langen Kunststoffröhren, sogenannten „Boomwhackern“ gespielt. Auch andere einfache melodische Schlaginstrumente kommen zum Einsatz. Mal laut, mal leise – mal schnell und mal langsam – mal strukturiert und mal improvisiert. Dazu wird geklopft und geklatscht. Und kleinere, feinere Übungen mit den Fingerspitzen oder sogar mit den Augenlidern fließen in die musikalischen Übungen ein. Die Lehrer und Lehrerinnen hören und singen begeistert mit. Die dazugehörige Zeichensprache, die vor allem den Kindern die Tonhöhen verständlicher und greifbarer machen sollen, haben sie alle schon richtig gut drauf! Alle haben richtig Spaß an der Sache, sowohl die Dozenten, als auch ihre Schüler!

Praktische Tipps für den Musikunterricht in den jeweiligen Klassen gibt es von Guido, Barbara, Marc und Wolfgang, die sich als Team hervorragend ergänzen, sozusagen nebenbei: Wie stehen die Tische? Wie werden die Instrumente eingesetzt? Wie sorgt man für ein Minimum an Disziplin? Wie geht man rücksichtsvoll mit den unterschiedlichen musikalischen Talenten der Kinder um? Wie viel Zeit braucht man wofür? Wie schafft man einen roten Faden in einer Unterrichtsstunde?

Musiktheoretische Begriffe fallen bei Primacanta fast unauffällig: „Dreiklang“ und „Oktave“ sind hier eigentlich nicht wichtig. Aber es schadet nicht, wenn man sie schon einmal im Kontext gehört hat, zumal in einem solch spielerischen Kontext. Von „Mimi, Dodo und soso“ bis zum Akkord aus Do, Mi und Sol ist der Weg ja nicht weit.

Dass es bei „Primacanta“ aber um mehr geht als um Spaß und Spiel, wird immer wieder deutlich. Guido Niessen erläutert den Teilnehmern die Dokumente, die ihnen im Buch, auf Papieren, aber auch per WhatsApp, Mail oder OneDrive-Ordner übermittelt werden. Das sind Anleitungen, Tonbeispiele und Playback-Begleitung, auch Theorie und Noten. Um Stimme und Gehör kindgerecht zu schulen, um ein Gefühl für Töne und Melodien zu schaffen, werden alle modernen pädagogischen und technischen Mittel eingesetzt.

Und dann kommt wieder Bewegung in die Gruppe: Wolfgang Delnui übernimmt im fließenden Übergang die Leitung des Kurses. Rhythmik und Metrum, Puls und Takt sind jetzt die Themen. „Möchtet ihr Schostakowitsch oder Queen?“, fragt er. Die Antworten sind gemischt. „Gut, dann machen wir beides!“ Dazu erheben sich alle von ihren Stühlen, es wird gegangen und sich bewegt. „Walzer tanzen kann ich nicht“, sagt Wolfgang. Aber den 3:4-Takt, den die Gruppe sich selbst mit allerhand Hilfsmitteln und Kniffen vorgibt, den fühlen bald alle. Und bringen ihn auf vielfältige Weise zum Ausdruck. „Ja, dieser Takt dreht, ist irgendwie rund“, stellt eine der Teilnehmerinnen fest. Musik macht man nicht nur mit der Stimme oder mit einem Instrument, sondern man erlebt sie mit dem ganzen Körper. „Stimme und Stimmbildung“ (Barbara), „Metrum, Rhythmus und Bewegung“ (Wolfgang), „Töne und Musiktheorie“ (Guido) sowie „Musikpädagogik“ (Marc), so lauten die Primacanta-Kursinhalte.

Heute sind die Kursteilnehmer selber Schüler*innen von „Primacanta“, morgen werden sie als Lehrer*innen die erworbenen Erfahrungen an ihre Schüler in ihren jeweiligen Klassen weitergeben. Glückliche Schüler, die mit solchen Lehrern, auf solche Weise, das Hobby Musik erlernen und erfahren dürfen!